Ein Text, von Nelly Sachs, der mich sehr berührt und geprägt hat…
Herr (wenn es dich gibt),
ich kann nicht beten,
denn ich habe zu viele Gebete gehört,
die nur Worte waren,
und sie machten mein Herz krank
vor Traurigkeit.
Herr (wenn es dich gibt),
ich kann nicht danken,
denn:
Wenn ich Dir danke, weil ich satt bin,
muss ich dir zum Vorwurf machen,
dass Millionen hungern,
wenn ich Dir danke,
dass ich gesund bin,
muss ich Dir zum Vorwurf machen,
dass Millionen siechen,
wenn ich Dir danke,
dass ich glücklich bin,
muss ich Dir zum Vorwurf machen,
dass Millionen verzweifeln,
denn Du bist allmächtig,
heißt es in den Büchern.
Herr (wenn es dich gibt),
ich kann nicht beten,
ich kann nicht danken,
ich kann nicht glauben.
Ich kann nur versuchen,
jedem menschlichem Geschöpf,
das mich braucht,
meine Liebe zu zeigen
und nach Wahrheit und Gerechtigkeit
zu suchen, das ist mein Gebet.
Ich kann nur versuchen
Neben meinem Bruder,
den die Menschen verachten,
zu stehen,
um mit ihm verachtet zu werden, das ist mein Dank.
Ich kann nur unermüdlich weitersuchen
Nach der verschütteten Seele
Unter der Trümmer dessen,
was dein Abbild hätte sein sollen, das ist mein Glaube.
Herr (wenn es dich gibt),
gib mir Kraft,
so zu beten,
zu danken,
und zu glauben!